Ein Boot stand von Anfang an auf meiner Liste: eine Alu-Reinke, 16,5 Meter, gute 15 Jahre alt, für „große Fahrt“ gebaut mit 3 Kabinen und kleinem Deckssalon/überdachter Führerstand.

Allerdings lag der Preis mit knapp 200.000 Euro deutlich über meinem Budget. Trotzdem konnte ich dieses Boot nie wirklich aus meiner Liste streichen. Es hatte den Daten nach einfach alles, was ich mir wünschte. Auch der Twin-Kiel war ein Plus-Punkt.

Im Frühjahr 2021, nachdem ich bereits meine Entscheidung für die WAHOO getroffen hatte, fällt der Preis für dieses Boot deutlich. Er liegt Immer noch über meinem Budget – aber fragen kostet ja nichts.
Also führe ich einige sehr angenehme, wenn auch zum Teil traurige Gespräche mit der Eignerin. Die Geschichte dieses Bootes ist schon bewegt.

Sie möchte inzwischen das Boot einfach nur noch los werden.

Also einigen wir uns auf einen Eck-Preis von 100.000 Euro abzüglich dessen, was noch zu investieren wäre, da dieses Boot eben noch zum Teil eine Baustelle ist.
Es schwimmt, wurde auch vor 2 Jahren auf dem Seeweg von Montenegro nach Sardinien überführt. Aber manches ist noch nicht fertiggestellt bzw. defekt.

Ich buche also für die Woche vor Ostern einen Flug via Rom nach Sardinien und zurück. Wohnen werde ich für 2 Tage auf der „Auriga“ (zu deutsch: „Fuhrmann“).

Dieser Trip sollte in vielerlei Hinsicht ein Reinfall werden, aber das ahnte ich noch nicht einmal ansatzweise, als ich in Frankfurt am Main zum Flughafen fahre.

Auf Sardinien angekommen gibt es gleich das erste Problem: Meine Kreditkarte ist für Auslandszahlungen gesperrt (keine Ahnung warum). Ich benötige sie aber für die Kaution beim Mietwagen. Mit der Debitkarte oder bar geht das nicht.
Ich brauche einige Zeit, um über die Hotline der Bank die Karte wieder frei zu geben und erreiche so die Marina im Zentrum Sardiniens erst lange nach Sonnenuntergang. Ein wenig zum Essen muss ich auf der Fahrt in den Norden auch noch einkaufen, denn dank Corona sind alle Restaurants geschlossen.
Mein Ansprechpartner ist zum Glück so spät noch wach und öffnete mir das Boot.

Am nächsten Morgen fange ich mit der Inspektion an.

Ich erspare hier Einzelheiten. Es ist wirklich ein sehr schönes, solides Boot mit viel Platz um darauf zu leben. Der Alu-Rumpf (5-7 mm !) trägt viel mit dazu bei. Auch die Raumaufteilung ist angenehm und zweckmäßig. Also genau so, wie ich es mir vorgestellt und gewünscht habe.

Leider geht es aber über diese solide Basis kaum hinaus.

Lose Kabelenden findet man überall …

Alles andere an diesem Boot muss überarbeitet oder sogar neu gemacht werden. Die Elektrik ist ein Graus (die Kabel-Resteecke in der übelsten Elektriker-Bude dürfte aufgeräumter aussehen), der Innenausbau hat über die gesamte Bootslänge jede Menge Macken, die beiden Maschinen sind auch nicht OK und selbst das Rigg bedarf einiger Arbeit, um damit auf größere Fahrt gehen zu können.

Die Logge zeigte im Hafenbecken teilweise über 20 kts durch Wasser an, der Windmesser dagegen trotz leichten Böen NULL und das Echolot ein erstaunlich tiefes Hafenbecken:

Anmerkung: Das Boot lag fest vertäut in der Marina

Der Innenausbau ist ebenso stark renovierungs- bis erneuerungsbedürftig.

Wasserschäden in vielen Bereichen …
… und allgemein schlechte Verarbeitung.

Fazit: Potentiell ein sehr schönes Boot, aber leider eine (immerhin sicher auf dem Wasser schwimmende) Baustelle.

Ich erstelle dennoch eine ausführliche „To-Do-Liste“ für dieses Boot, um zu Hause die auf mich zu kommenden Kosten zu ermitteln.

Auf dem Rückflug dann die nächste Panne: In Rom lässt man mich nicht in den Flieger nach Deutschland, weil mein Corona-Test inzwischen ein paar Stunden zu alt ist. Für den Flug von Cagliari nach Rom war er noch „gut“.
Es gibt zwar direkt auf dem Flughafen ein Testzentrum, aber da ich danach komplett wieder durch alle Sicherheitsschleusen muss, sehe ich den Flieger nur noch zum Flugfeld rollen …
Schweißgebadet, mit neuem Coronatest und innerlich schon auf eine Nacht auf dem Flughafen eingestellt, versuche ich noch für den selben Tag einen Ersatzflug zu finden. Die Lufthansa hatte noch Plätze frei, und so konnte ich 3 Stunden später als geplant (und 300 Euro ärmer) den Rückflug doch noch antreten.

Zu Hause rechne ich alles auf und ermittle die notwendige Kosten. Diese drücken den Preis für die Auriga deutlich unter die Schwelle, der für die Besitzerin noch akzeptabel wäre.

Vermutlich sind die 80.000 – 100.000 Euro, die sie mindestens erzielen möchte, immer noch ein sehr guter Preis für den sehr soliden Rumpf, der ja auch schon etliches an Ausstattung hat (Maschinen, Tanks, Akkus, Mast, …)
Zusammen mit den (vorsichtig) geschätzten Reparaturkosten von 30.000 – 50.000 Euro komme ich allerdings deutlich über mein Budget – und erfahrungsgemäß schätzt man solche Kosten eher zu niedrig als zu hoch.

Auch der Nachweis der EU-Mehrwertsteuer ist nicht vorhanden. Die Auriga stand etliche Jahre in Montenegro auf dem Trockenen (nicht EU!).
Es schwebt also ein Damoklesschwert in Form von ca. 20.000 Euro nachzuzahlender Mehrwertsteuer über dem Boot.

Wer aber etwas mehr ausgeben kann, handwerklich nicht ungeschickt ist und etwas Zeit investiert, kann hier ein sehr tollen Boot zu einem sicher angemessenen Preis erhalten.

„Fuhrmann“ scheint ein allerdings Name zu sein, der mir nicht unbedingt Glück bringt. Er war schon früher in meinem Leben mit eher negativen Erlebnissen verbunden – „Auriga“ hätte mir also eine Warnung sein können.
Nicht dass ich abergläubisch wäre, aber in Zukunft werde ich wohl diesen Namen meiden 😀